Tunguska über der Waldau

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38. Spieltag/ 14.05.2016

SV Stuttgarter Kickers vs Chemnitzer FC 0:1

0:1 Fink (87. )

 

Zuschauer: 5.970

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Die Schnecken in meinem Garten haben das hingeworfene Schneckenkorn gefressen. Scheint ganz brauchbarer Stoff zu sein, dieses Kickers-blaue Streugut. Tot ist tot. Da brauche ich mit meinem Haselnussstecken auch nicht mehr in den bereits aufgärenden Bauch zu pieken, auf dass mir das Gedärm um die Ohren fliegt. Mit ihren aufgeplatzten Wänsten werden sie die Ameisen locken, die sich an dem vergleichsweise riesenhaften Körpern abarbeiten. Die Sonne trocknet dann das von den übersättigten Ameisen Verschmähte. Irgendwelches Kleinstgetier wird den Rest zu einwandfreier Gartenerde verdauen.

 

Am Nachmittag liegen auch wieder welche auf dem Rasen. Zwar keine Schnecken, sondern die spielenden Angestellten unseres blauen Vereins. Was die zu Beginn der Spielzeit gefressen haben, wurde mich interessieren. Vom Friede-Freude-WirsindalleeineFamilie-Gefühl blieb am Ende nichts. Gar nichts - wie bei den Schneckenkörpern. Frustriert vom ausbleibenden Erfolg, Dauerverletzungen, hochgejubelten Fehleinkaufen, internen Querelen, unbekannt gebliebenen Machtspielchen zwischen Kickers-Ikonen und Sportdirektor sehnten wir das Ende der Spielzeit herbei. Auf das doch alles noch ein gutes Ende nehmen würde. Die Stützen der einstmals erfolgreichen Mannschaft brachen nach und nach weg. Mir schien, als wären die Kickers nie mehr in Lage ein Fußballspiel taktisch, technisch und läuferisch erfolgreich über die Bühne zu bringen. Nicht mit diesen Spielern und auch nicht mit diesem Trainer. Lange hofften wir, nahmen Durchhalteparolen zur Kenntnis, resignierten dann aber nach samstäglichen Nullnummern am laufenden Band.

 

Als Aufstiegskandidat gestartet, wie ein Schneckenkornkonsument gestrandet. Hin und hergerissen zwischen Abstieg und Ligaverbleib blieben wir Zeitzeugen einer Selbstdemontage ersten Ranges. Ungute Vorahnungen steigerten sich zur Gewissheit: wir sind raus. Ohne Applaus und ohne blaue Brille auch irgendwo verdient.

 

Unfähig einen benötigten Punkt aus zwei Spielen zu erkämpfen, unfähig auch nur ein verdammtes Tor zu erzielen, schlotterten wir uns durch das letzte Heimspiel. Nach einigen mit erstaunlichem Mut vorgetragenen Angriffen begann das große Rechnen. Solange die bereits im Ferienmodus befindlichen Chemnitzer den Ball im Kickerstor nicht versenken würden, könnte uns doch nichts passieren – eigene Unfähigkeit hin oder her. Auf den anderen Plätzen lief es erwartungsgemäß: die Konkurrenz war drauf und dran die Blauen in den Abgrund zu reißen., konnte uns aber Dank des aktuell ergatterten Punktes nicht packen. 87. Minute: Anton Fink tat was ein Stürmer tun muss – er traf. Mitten ins blaue Herz und das drei Minuten vor Ultimo. „Gefühle, wo man nicht beschreiben kann.“ hätte Klinsi der unwirtlichen Situation so etwas wie Worte gegeben. Als Cottbus seine Heimführung in den Minuten 89 und 91 vergeigt, sprangen die Kickers trotz der drohenden Niederlage wieder über den Strich und wir schienen heute die glücklichsten Stuttgarter der Welt werden zu können. 

 

Schlusspfiff auf der Waldau. Keine Reaktion vom Publikum. Gespenstische Stille. Wer hat, starrt auf sein Mobiltelefon und sieht, dass dort nur noch ein Spiel läuft und läuft und läuft: Wiesbaden gegen –ausgerechnet – die Vorstädter. Wiesbaden braucht noch ein Tor. 92. 93. Die Zeit bleibt stehen. Der Aktualisierungskreisel rotiert. 94. Roter Balken vom Kickers-Ergebnissdienst: Tor! Wiesbaden 3 - ich lese gar nicht mehr weiter. Nein. Doch! Was? Tor. Und? Wir sind raus!    

 

Tunguska über der Waldau. Die Spieler kippen auf den Rasen. Hinsetzen, aufstehen, wohin mit uns und unserem Schmerz. Tränen hier und da. Bier? ach Scheiße.

 

 

Leere.