fast ein 3:1

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1. Spieltag/ 25.07.2015

Stuttgarter Kickers vs. S.C. Fortuna Köln 2:1

Zuschauer: 4.975

1:0 Braun (11.)

2:0 Baumgärtel (52.)

2:1 Biada (57.)

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Hinein geht’s in die Aufstiegssaison oder wie soll ich beginnen? Wenn die Neueinkäufe einschlagen, der Weggang von Halimi verkraftet werden kann, Stammkräfte nicht längere Zeit ausfallen und wir im Fußball-Osten mehr Fortüne haben, ja dann könnte es was werden.

 

Mein neuer Platz ist die Haupttribüne. Das Rumlümmeln auf den Hartschalensitzen in Reutlingen fand ich nicht verkehrt und mein Kicker-Kids-Club Mitglied kann von hier wenigstens uneingeschränkt dem Spielgeschehen folgen – wenn er will. Eine frühzeitige Anreise kann entfallen, selbst bei hohem Besucheraufkommen. Mein Platz ist frei und das finde ich sehr entspannend.  Umgeben von erfahrenen Stadionbesuchern - oder wie soll ich das Alter meiner Nebensitzer beschreiben? – äugten wir zunächst auf eine nigelnagelneue  Videowand. Mit Bewegtbildern und in bunt – mein lieber Mann.

 

Trotz heftigem Gegenwind hatten die Kickers überhaupt keine Schwierigkeiten ins Spiel zu finden. Nach Braun´s feinem Treffer aus mehr als 20 Metern gingen die 24 Akteure mit einer verdienten Einsnull-Halbzeitführung in die Kabinen. Dort wartete bereits ein Kölner, der sich nach gerade einmal 29 Minuten die Ampelkarte abholte. Zum Schlusspfiff verließen dann übrigens nur noch 23 Akteure den Rasen, weil sich die Kölner durch eine weitere  Ampelkarte in der 64. Minute nochmals dezimierten. Was in der ersten Halbzeit sehr ansehnlich war, wirkte mit zunehmender Spieldauer immer verkrampfter und der vermeintliche Vorteil gegen nur noch 9 Kölner erwies sich eher als Nachteil. Köln lauerte mit zwei Viererketten auf Kontersituationen und riskierte immer mehr. In doppelter Unterzahl würde ihnen niemand einen Vorwurf machen und ein Ausgleichstreffer wäre eine geradezu sensationelle Genugtuung gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt. Sie haderten mit dem Schiedsrichter, behielten aber ihren rustikalen Stil konsequent bei. 

 

Ein weiteres klares Foul im Mittelfeld kommentierte mein Kickers-Kids-Club Mitglied eine Viertelstunde vor Schluss staubtrocken mit: „Jetzt könnte der Schiedsrichter ruhig mal ´ne Karte zeigen.“ Damit hatte er natürlich die Lacher auf seiner Seite.

 

Im Laufe eines Spiel kommt es immer wieder zu Situationen, bei denen der Zuschauer denkt: „Das hätte der Spieler jetzt aber besser machen können.“ Die Steigerung ist dann: „Das hätte ja sogar ich besser gemacht– an seiner Stelle.“ Meist stimmt das natürlich nicht, denn aufm Platz ist es ähnlich wie aufm 3-Meter-Brett im Freibad. Von unten sieht es gar nicht so hoch aus. Lockere Sache sowas. Steht man oben-wird die Welt ganz schön klein. Stände man tatsächlich auf dem Platz, hätten die allermeisten derartige Orientierungsschwierigkeiten, dass vermeintlich seit Kindertagen vorhandenen, aber bislang unentdeckt schlummernden Fähigkeiten weiterhin ihrer Erweckung entgegen siechen würden.

 

Je größer die vergebene Möglichkeit auf dem Platz, desto größer wird der Personenkreis, dem man eine halbwegs ordentliche Verwertung zutraut. „Den hätte sogar meine Oma gemacht!“ grins „und die ist 85“. Oder – an seinen Tribünennachbarn gewandt: „den hättest sogar Du gemacht!“. Hier wird man seine Stimmlage etwas variieren müssen – ein leicht zweifelnder Unterton wird in der Regel zu einer prompten und im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Bejahung münden, die in allseitiges Gelächter übergeht. Wird der Chance eine größere Bedeutung beigemessen, weil „dann ja alles ganz anders gekommen wäre“, formuliert man eher resigniert sachlich. Zustimmendes Kopfnicken und verkniffene Mundwinkel folgen. Entweder hält man daraufhin auch die Klappe und bietet vielleicht eine Zigarette an oder naja ihr wisst schon wie Menschen so reagieren, wenn es in ihnen brodelt und der Funke erreicht das Benzinfass.  

 

Und dann gibt’s da noch die Kategorie der „tausendprozentigen Chance“, die man „einfach machen muss“, „egal wie“. „Den macht Jeder!“ Also z.B., na was fällt mir jetzt da so ein? Also der Stürmer läuft alleine aufs gegnerische Tor zu. Da steht auch kein Torwart drin, weil der selbst in entgegengesetzter Richtung unterwegs ist, weil seine Mannschaft hinten liegt. Der Gegenspieler hechelt pro forma drei Meter hinterher, sonst bemängelt der Trainer mangelnde Einstellung und beim nächsten Mal hieße es Ergänzungsspieler statt Startelf. Der Ball kommt hoch aus der eignen Hälfte, prallt einmal, zweimal auf und senkt sich 18 Meter vorm Kasten ein drittes Mal. Dort lauert unser Knipser.  Was machen derweil die Zuschauer? Richtig! Die machen sich bereit zum jubeln, denn sie wissen was jetzt folgt. Das Schöne an der Situation ist, dass man dieses Tor in Ruhe genießen kann. Es kommt nicht unvorbereitet auf einen zu. Bis der Ball im Tor landen wird, vergehen noch einige Augenblicke. Wer noch nicht steht, bewegt sich hoch. Das komplette Stadion steht also und blickt in freudiger Erwartung der Vollendung entgegen. Links oder rechts oder in die Mitte – das bleibt die letzte ungeklärte Frage. Spitze Schreie halbwüchsiger Mädchen, die Sicht verschlechtert sich durch in die Höhe gerissene Arme. In Gedanken ist der Ball bereits im Netz. Gleich, jetzt: schießt er. Ja, er schießt.

 

Vorbei! Der Ball geht vorbei. Nein. Doch. Der Ball ist nicht im Tor und trudelt einen halben Meter am Pfosten vorbei. Der Stürmer stützt kurz seine Hände auf die Knie und dreht dann ungläubig ab. Die Zuschauer verharren zunächst in ihrer Jubelpose oder deren Vorbereitungsphasen. Mund und Augen weit geöffnet blickt man sich um, um in ebensolchen Gesichtern das fassungslose Entsetzen auszumachen. Der Tribünennachbar auf der anderen Seite sieht genauso aus. Nach einigem hin und her merkt man, dass das irgendwie ein bescheuerter Gesichtsausdruck sein muss und schlägt sich erstmal die Hände vors Gesicht. Andere stöhnen auf, die ersten beginnen abzuwinken, wie irre aufzulachen oder gar zu pfeifen. Schon blöd, wenn man sich alles so schön ausgemalt hatte und plötzlich das Kopfkino mit der nackten Realität konfrontiert wird. Und das im Sekundenabstand, da muss man ja verrückt werden. Frust statt Genuss.

 

Manuel Fischer hatte übrigens eine einfache Erklärung zum Ganzen: „Sowas passiert einmal in der Karriere.“

Wir waren dabei und ich freue mich schon, wenn er wieder richtig trifft. Das kann er bekanntlich viel besser.